top of page

Das Problem mit der Netflix-Serie «The Witcher» oder: Was macht eine Geschichte grossartig?

Helden, Drama, Happy End: Alle erfolgreichen Geschichten basieren auf denselben Elementen. Wer überzeugen will, sollte sich deshalb an die Regeln des Storytellings halten.

Wald

Man braucht kein Autor zu sein, um zu wissen: Eine packende Geschichte lebt von starken Charakteren und den Herausforderungen, die sie meistern müssen. Oder einfacher ausgedrückt: Geschichten leben von Problemen.


Alle grossen Helden der Literaturgeschichte hatten irgendein Problem: Odysseus musste nach Hause finden und kämpfte deshalb gegen Götter, Monster, Sirenen. Faust musste seine Erlösung finden, nachdem er seine Seele an Mephisto verkauft hatte. Frodo musste die Versuchung überwinden und den Ring nach Mordor bringen. Wir fiebern mit, weil wir sehen wollen, ob und wie der Held das Problem meistert.


Prophezeiung ohne Inhalt

Einer der kraftvollsten Geschichtentreiber ist die Prophezeiung: Sie markiert das Ziel und erzeugt Spannung durch die Diskrepanz zum Ist-Zustand. Das heisst: Weil der Held noch nicht das Zeug dazu hat, der Prophezeiung zu entsprechen, entsteht die immanente Frage «Wird es wirklich so kommen?».


Der Held hat zu Beginn noch nicht die richtigen Fähigkeiten, die nötige Ausrüstung oder was auch immer, um die Prophezeiung wahr werden zu lassen. Dazu braucht es zuerst die Transformation. Wie bei Luke Skywalker, Daenerys Targaryen oder Harry Potter.


Wir Leser oder Zuschauer wissen also, was auf dem Spiel steht. Und wir wissen, von welcher Motivation unser Held oder unsere Heldin getrieben wird. Deshalb schauen wir weiter. Denn wir wollen sehen, wie der Held triumphiert.


In der Netflix-Serie «The Witcher» werden diese Elemente vernachlässigt. Zumindest in der ersten Staffel lässt mich die ominöse Prophezeiung «He is your Destiny» als Zuschauerin völlig im Dunkeln. Was umfasst dieses «Destiny» genau? Wozu wurde die Prinzessin vorherbestimmt? Und was hat das mit dem Monsterjäger Geralt zu tun? Wir vermuten, dass die in Ciri schlummernde Superkraft irgendwie noch von Bedeutung sein wird. Aber ausgesprochen wird davon nichts.


Wann und wo sind wir hier eigentlich?

Wer keine Vorkenntnisse aus Büchern oder Games mitbringt, ist bei der Netflix-Serie verloren. Es fehlt ein Überblick zur politischen Welt. Eine geografische Orientierung ist nicht möglich. Wer kämpft hier gegen wen und weshalb? Wir erfahren es nicht.


Doch damit nicht genug. Die Adaption von «The Witcher» bricht, zumindest in der ersten Staffel, mit einigen bewährten Regeln des Erzählens. Während die Buchreihe ihre Geschichte langsam aufbaut und die Charakteren tiefgehend entwickelt, setzt die Netflix-Serie auf eine non-lineare Erzählweise. Das ist zwar lobenswert, da diese Struktur anspruchsvoller ist und richtig eingesetzt durchaus sehr viel Spannung generieren kann. Filme, welche die non-lineare Erzählung vorbildhaft umgesetzt haben sind zum Beispiel «Memento» oder «Pulp Fiction». Bei «The Witcher» ist das Ganze aber einfach zu komplex: Drei verschiedene Erzählstränge, die verschiedene zeitliche Ebenen vorweisen – das ist einfach zu viel des Guten. Mitfiebern ist schwierig. Identifikation ist schwierig.


In Staffel zwei hat man sich zum Glück für eine einfachere, chronologische Erzählweise entschieden. Doch was die Motivation der Charakteren betrifft, erfahren wir hier zunächst auch nicht viel mehr. Geralt von Riva wird zwar von Henry Cavill vorbildlich interpretiert, aber das grosse Problem ist, dass wir Geralts Beweggründe nicht kennen. Welche Mission treibt ihn an? Bei der ersten Begegnung mit Ciri besteht ausserdem kein persönlicher Bezug. Wir fragen uns: Warum sollte ein Charakter sein ganzes Handeln auf jemanden ausrichten, den er nicht kennt, nur weil das «Schicksal» dies so besagt? Wenn wir wenigstens wüssten, wozu der Einsatz gut wäre (ausser vielleicht dazu, einen launischen Teenager grosszuziehen).


Gut gemacht: Yennefers Leidensweg und komplexe Dialoge

Doch jetzt gilt: Lohn den Geduldigen. Denn in Staffel zwei treten sie endlich auf, die Probleme. Ciri muss sich behaupten und Geralt muss zum Mentor werden. Unser Interesse an der Geschichte wächst, wenn wir sehen, wie Ciri sich langsam zur Kämpferin entwickelt und Geralt mehr charakterliche Tiefe gewinnt. Und Yennefer? Ihr Problem ist so wunderbar klar (sie hat ihre magischen Fähigkeiten verloren), dass ihr Handeln, wie verwerflich es auch erscheinen mag, der Geschichte viel Spannung beschert. Und die Tatsache, dass sie Geralt hintergeht, liefert gleich das nächste Problem. Ganz nebenbei erfahren wir auch endlich ein bisschen mehr über die Herkunft der Magie und die Geschichte der Elfen.


Ein bisschen mehr Hintergrund hätte es sein können; dafür bleibt die Serie eine intellektuell anspruchsvolle, die konsequent ohne banale Dialoge auskommt – was man beispielsweise von Game of Thrones leider nicht behaupten kann. Und wenn wir schon bei den lobenswerten Aspekten der Serie angelangt sind, sei an dieser Stelle die charakterliche Entwicklung der Figur Yennefers erwähnt, die als Haupttreiber der Geschichte in Staffel eins neben dem grossartigen Soundtrack und dem atmosphärischen Weltendesign dafür gesorgt hat, dass unser Interesse nicht schwindet. Es bleibt abzuwarten, ob es der neuen Staffel gelingt, diesen Qualitäten treu zu bleiben und sich trotzdem in den mangelhaften Aspekten weiterzuentwickeln.



 



bottom of page